DFB-Elf vor der Nations League: Große Umbauten auf der Sandburg

Julian Nagelsmann setzt trotz des personellen Umbruchs auf eine gewisse Form von Kontinuität. Eine komplizierte Aufgabe für das DFB-Team.

Nagelsmann kratzt sich mit dem Zeigefinger im Bart

Knifflige Angelegenheit: Julian Nagelsmann muss ohne bewährte Stützen im Team auskommen Foto: Daniel Karmann/dpa

Im Anspruchsdenken ist die deutsche Fußballnationalmannschaft wieder in der Weltspitze angekommen. Die Verpflichtung von Julian Nagelsmann vor knapp einem Jahr mag noch den Charakter einer Notoperation gehabt haben, um irgendwie noch den drohenden Gesichtsverlust einer stolzen Fußballnation bei der Heim-EM zu vermeiden.

Doch nach dem erfolgreichen Eingriff, der im Viertelfinale in einem nahezu ebenbürtigen Auftritt mit dem späteren Europameister Spanien gipfelte, herrscht wieder das Selbstverständnis aus alten ruhmreichen Tagen vor.

Der neue Kapitän Joshua Kimmich ließ diese Woche vor den beiden Nations-League-Spielen gegen Ungarn und die Niederlande wissen: „Vor allem meine Generation hat nichts mehr zu verschenken. Wir wollen jeden Titel, jede Chance nutzen. Und da wollen wir bei der Nations League anfangen.“ Dass man nun zwei Jahre warten müsse, bis man wieder Weltmeister werden könne, identifizierte Bundestrainer Julian Nagelsmann beim EM-Ausscheiden Anfang Juli als das besonders Schmerzliche.

Gedanklich ist der über viele Jahre kriselnde Nationalmannschaftfußball also schon bestens genesen, die Nachweise dafür müssen allerdings mitten in einer schwierigen Umbruchsituation noch erbracht werden. Der kurzfristig für die EM zurückgeholte Toni Kroos, der sich binnen kürzester Zeit als unverzichtbarer Stabilisator erwies, hat seine Karriere beendet.

Manuel Neuer, der mit seinem besonderen Torwartspiel großen Einfluss auch auf die Art des National­elffußballs ausübte, steht ebenso nicht mehr zur Verfügung wie Kapitän und Spielgestalter İlkay Gündoğan sowie Thomas Müller, der für den Zusammenhalt im Kader eine wesentliche Rolle spielte.

Man müsse nun aufpassen, erklärte Nagelsmann diese Woche, die „Sandburg nicht einstürzen zu lassen, sondern weiterzubauen“. Im Sinne seiner häufig demonstrativen Zuversicht war die Metapher nicht glücklich gewählt. Als Realitätsbeschreibung taugt sie indes ganz gut.

Festhalten am Spielsystem

Wie stabil die Grundlagen sind, auf denen das Nationalteam aufbauen kann, ist etwas unklar. Kimmich sprach immerhin von Säulen, die weggebrochen seien. Nagelsmann hebt dennoch erst einmal auf das ab, was man bewahren möchte. Am Spiel­system und der Spielweise solle vorerst nichts verändert werden. Man wolle Dinge festigen, die man sich für die EM erarbeitet hat.

Pascal Groß und Marc-André ter Stegen sollen erst einmal in die Rollen von Kroos und Neuer schlüpfen. Einen klaren Gündoğan-Nachfolgekandidaten gibt es dagegen noch nicht. Klar scheint aber, dass diese Personalien unweigerlich die Spielweise verändern werden. Nagelsmann wird seine pragmatische Notfallstrategie, auf die er kurz vor der EM umschwenkte, um einen möglichst geschlossenen Kader mit klar verteilten Rollen zusammenzuschweißen, aber nicht überstrapazieren.

Gerade die vielen Abgänge erfordern nun eine völlig andere Trainerarbeit, einen offeneren und experimentelleren Ansatz jenseits der ganz großen öffentlichen Aufmerksamkeit, wie sie kurz vor einer Heim-EM üblich ist.

Es ist eine Aufgabe, die Langmut und eine gewisse Gelassenheit erfordert, zumal der Bundestrainer mit seinen Schützlingen immer nur in großen Abständen auf dem Trainingsplatz üben kann. Inwieweit der eines gewissen Perfektionsdrangs verdächtige Nagelmann der Richtige für diesen Job ist, wird spannend zu beobachten sein. So strahlend hell die Stimmung um das Nationalteam gezeichnet wird, so schnell kann sie nach zwei Niederlagen wieder ins Düstere kippen – zumal wenn die Ansprüche wieder so hoch gehängt werden.

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Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.

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